„Flucht aus dem Labor“ ist ein Kapitel aus meiner Geschichte Blutige Wiederkehr.
Die Krankenschwester Claire findet heraus, dass immer wieder Leichen auf mysteriöse Weise verschwinden, und beginnt, der Sache auf den Grund zu gehen. Ihre Suche führt sie in ein verlassenes Krankenhaus, in dem unfassbare Dinge geschehen, und gerät selbst in große Gefahr.
Laura weckte mich am anderen Morgen lange vor Sonnenaufgang.
„Wach auf“, flüsterte sie mir ins Ohr, „heute beginnt unsere Freiheit.“
Schlaftrunken rieb ich mir die Augen, kroch aus dem Bett und spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht.
Meine wenigen Habseligkeiten hatte ich schnell zusammengepackt und Laura plündern in der Küche die Vorräte.
Traian war auch in dieser Nacht nicht gekommen und ich schrieb ihm eine kurze Nachricht, damit er wusste, dass wir verschwunden waren.
Dann machten wir uns auf den Weg. Die erste Strecke rannten wir. Langsam erwachten meine Lebensgeister und ich konnte einen Hauch unserer neu gewonnenen Freiheit spüren.
„Wohin sollen wir denn jetzt gehen?“ fragte ich Laura.
„Ich denke, wir gehen weiter nach Süden“, schlug sie vor, „dort gibt es einen Wald, wo wir uns verstecken können, falls uns jemand verfolgt. Das erscheint mir besser, als nach Westen zu gehen und die Berge zu überqueren.“
„Ja, das leuchtet mir ein“, antwortete ich, „doch ich kann mir nicht vorstellen, dass Victor oder der Doktor sich auf die Suche nach uns machen werden.“
„Schon möglich, aber wir müssen auf jeden Fall darauf vorbereitet sein. Die beiden werden nicht gerade glücklich sein, dass wir das Weite gesucht haben.“
* * *
Wir erreichen den Wald und ließen uns am Waldrand nieder.
Ich war vom Rennen ziemlich außer Atem und hatte nicht vor, den ganzen Weg so schnell zu laufen. Aber wir hatten das Krankenhaus hinter uns gelassen und waren erst einmal in Freiheit.
„Jetzt bist du den irren Doktor und Victor erst einmal los“, sagte Laura zu mir, „wie fühlt es sich an, so frei zu sein?“
„Gut“, antwortete ich und lächelte, „wir sind frei, arm, obdachlos und haben keine Arbeit.“
„Ach, wir finden wieder einen Job“, versprach Laura mir, „Krankenschwestern braucht man immer.“
„Und die Toten brauchen keine Pflege mehr, höchstens einen Totengräber und jemand, der hin und wieder Blumen auf das Grab legt.“
Es war herrlich, auf der Wiese am Waldrand zu sitzen, die Wärme der Sonne zu genießen und mit Laura. Am liebsten wäre ich noch länger hier geblieben, doch wir hatten noch einen langen Weg vor uns.
Der Wald war dicht und unwegsam. Zuerst mussten wir uns ein dichtes Gestrüpp durchkämpfen und ich versuchte vergeblich, den spitzen Dornen auszuweichen.
Im Wald war es besser zu gehen. Die Bäume waren alt und viele von ihnen waren durch die Dürre abgestorben. Immer wieder mussten wir über die Stämme umgestürzte Bäume klettern, die uns im Weg lagen, und die dichte Schicht von vertrocknetem Laub ließ uns ebenfalls nicht schnell vorankommen.
Wir durchqueren den Wald in Richtung Süden und kamen an einem größeren Hügel vorbei.
„Komm, wir gehen hinauf“, schlug Laura vor, „vielleicht sehen wir ein Dorf in der Umgebung. Das wäre ein gutes Ziel für unsere erste Etappe.“
„Gute Idee“, antwortete ich, „vielleicht lässt sich von dort aus schon ein anderes Krankenhaus entdecken.“
„Das kann ich mir nicht vorstellen“, meinte sie, „aber vielleicht haben wir ja Glück.“
„Ich würde jeden Job annehmen. Alles ist besser, als die Hölle, aus der wir kommen. Verkäuferin, Kellnerin oder Putzfrau.“
„Selbst solche Jobs sind kaum noch zu finden“, antwortete Laura, „es gibt ja kaum noch Läden, Kneipen oder Villen reicher Leute, die nicht mehr selber saubermachen wollen.“
„Na ja, irgendetwas muss sich doch finden lassen. Ich würde gerne eine Farm betreiben, Getreide anbauen oder Pferde und Schafe züchten.“
„Das wäre schön“, meinte sie, „aber der Boden ist zu trocken und dürr, um irgendetwas anzubauen, und die letzten Schafe sind inzwischen längst gegessen worden.“
„Elender Mist“, lachte ich, „so stirbt ein weiterer schöner Traum.“
Von dem Hügel aus hatte man eine gute Aussicht in alle Richtungen. Von drei Seiten war er vom Wald umgeben und im Süden erstreckte sich eine weite Ebene bis zum Horizont. Zwischen den verdorrten Wiesen und Feldern sahen wir ein kleines Dorf.
„Ob hier wohl noch Menschen leben?“ überlegte ich.
„Finden wir es heraus“, antwortete Laura, „im schlimmsten Fall finden wir in einem der verlassenen Häuser ein Quartier für die Nacht und ziehen morgen weiter in Richtung Süden.“
Es dämmerte schon, als wir das Dorf erreichten. Langsam hatten wir genug von der beschwerlichen Wanderung in der Hitze und die Füße taten uns weh.
In der Nähe des Ortseingangs fanden wir ein altes, verlassenes Bauernhaus, das noch teilweise intakt geblieben war.
Das einst stolze Gehöft thronte auf einer kleinen Anhöhe, doch nun schien es von der Zeit vergessen worden zu sein. Das Dach war teilweise eingestürzt, und der Putz blätterte von den Wänden, offenbarte das Gerippe aus verwittertem Holz darunter. Die Fenster waren größtenteils zerbrochen, nur noch einige schmutzige Reste des einstigen Glases klebten in den Rahmen.
Als wir näher traten, konnte ich den muffigen Geruch des Verfalls wahrnehmen, der aus den dunklen, verlassenen Räumen strömte.
Um den Hof herum lag ein dichter Schleier aus wildem Gestrüpp und Unkraut, das sich seinen Weg durch die bröckelnde Mauer bahnte. Ein verrosteter Traktor stand verlassen in einer Ecke des Hofes, seine Reifen platt und seine Karosserie von Rost durchzogen.
Die Scheune, die einst voller Leben und Aktivität gewesen sein musste, war jetzt ein düsterer Schatten ihrer selbst. Das Dach war eingestürzt, und die Balken ragten wie die Knochen eines Tieres aus der Erde. Ein verwitterter Traktor stand einsam in einer Ecke, von Rost überzogen und von der Natur zurückerobert.
Die Ställe waren nun nur noch düstere, leere Räume. Die Futtertröge standen verlassen da, das Stroh lag verrottend auf dem Boden, und das einzige Geräusch war das leise Tropfen von Regenwasser durch die undichten Stellen des Daches.
Wir sahen uns um, doch in dem alten Hof gab es längst kein Leben mehr.
„Wunderbar“, sagte Laura, „das ist ein ideales Nachtquartier. Morgen sehen wir uns hier noch ein bisschen um und entscheiden dann, was wir tun.“
Mehr über die starken Heldinnen in meinen Geschichten findet ihr in dieser Übersicht.