Noch ein Mini-Hörbuch: Die Szene ‚Love and Peace‘ aus meiner Geschichte Die Gabe der Unsterblichkeit. Ein Besuch in Woodstock.

Die wilden Sechziger begannen mit Studentenprotesten an den Unis. Ich hatte mich in Berkely eingeschrieben und studierte Kunst, lebte in einer kleinen Studenten-WG und war mit dem Leben zufrieden, fand eine Handvoll gleichgesinnter Künstler und arbeitete an meiner Technik.

In Vietnam tobte der Krieg und ich verfolgte in den Nachrichten, was dort passierte. Die Erinnerung an Dresden war noch immer präsent und oft dachte ich an die Sinnlosigkeit und Grausamkeit dieses Krieges zurück.

Die anderen aus unserer WG dachten ähnlich wie ich, und ich musste mir verkneifen, ihnen von meinen Erlebnissen im Krieg zu erzählen – schließlich hätten sie mir vermutlich doch nicht geglaubt oder hätten vermutet, ich hätte LSD genommen.

John war einer meiner Freunde, die sich oft bei uns trafen, nächtelang über Krieg und Gerechtigkeit debattierten, Gras rauchten und sich über die Veränderung der Verhältnisse Gedanken machten. Er spielte Gitarre und hatte eine tolle Singstimme. Oft saßen wir zusammen, hörten ihm zu oder sangen mit, wenn er eins der Protestlieder anstimmte, die er mit ein paar Freunden zusammen geschrieben hatte.

‚Give Peace a Chance‘, ‚Universal Soldier‘ oder ‚Eve of Destruction‘ waren unsere Hymnen, und wenn John sie spielte, war es fast, als wäre es John Lennon selbst, der für uns spielte und sang.

Wir organisierten Demos und andere Aktionen, ich entwarf Transparente, auf denen wir das Ende des Kriegs forderten, und John spielte auf den öffentlichen Plätzen in der Stadt seine Protestlieder.

Dann sprachen sie von ‚freier Liebe‘, nannten unsere Wohngemeinschaft eine Kommune und wir begannen, alles zu teilen, was wir hatten.

„Das Establishment macht uns kaputt“, verkündete Mary, die sich jetzt nur noch ‚Moonlight‘ nannte, und die anderen gaben ihr Recht.

„Wir müssen kaputt machen, was uns kaputt macht“, sagte ein anderer, „eine Revolution des Volkes.“

„Das klingt sehr nach Karl Marx“, widersprach ein dritter, „eine Revolution widerspricht der Idee von Love und Peace.“

Und schon waren wir in der allergrößten Diskussion, die emotional und erbittert geführt wurde.

John zündete einen Joint an, der von einem zum anderen weitergegeben wurde. Bald war die Stimmung viel lockerer und die ernsten Themen rückten in weite Ferne.

Hippie-Mädchen Mary

Mary verzog sich mit einem der Jungs ins Bett. John legte die Gitarre beiseite und legte eine Schallplatte auf. Als ‚The Who‘ spielte, drehte er die Lautstärke hoch und wir begannen zu tanzen.

„Ich hoffe, wir sehen die Band in Woodstock“, sagte John hoffnungsvoll.

Wir legten unsere Ersparnisse zusammen, kauften Karten für das Festival und bald beherrschte die Vorfreude auf das große Ereignis alle unsere Gedanken.

* * *

Es war am Tag unseres Aufbruchs als ich John vollkommen niedergeschlagen antraf.

„Was ist los?“ fragte ich ihn besorgt. So hatte ich ihn noch nie erlebt.

„Ich muss nach Vietnam“, antwortete er frustriert, „ich hatte heute den Einberufungsbescheid im Briefkasten.“

„Wann musst du gehen?“

„Zum Glück erst nach dem Festival“, grinste er schwach.

„Dann kommen die langen Haare ab“, neckte ich ihn, „und du wirst aussehen, als würdest du auch zum Establishment gehören.“

„Shit, ja“, seufzte er.

„Na ja, dann wird Woodstock deine große Abschiedsfeier“, versprach ich ihm, „wir lassen es ordentlich krachen.“

* * *

Wir organisierten einen alten VW-Bus und Zelte und machten uns auf die Reise zum Festival. Die Fahrt war fröhlich und selbst John hatte seine gute Laune wiedergefunden.

Woodstock war ein chaotisches und aufregendes Erlebnis und wir bereuten nicht, dass wir dabei gewesen waren. Die Musik war einfach gigantisch und die Stimmung ausgelassen und friedvoll, trotz dem ganzen Matsch und der enormen Menschenmasse.

‚The Who‘ waren der absolute Hammer. Ich liebte ihre Songs und ihre Show war perfekt. John war von Jimi Hendrix überwältigt, der für ihn ein großes Vorbild war, während Mary von der klaren Botschaft begeistert war, die Joan Baez in ihren Songs vermittelte.

In der letzten Nacht lud ich John ein, die Nacht mit mir zu verbringen, und wir liebten uns leidenschaftlich und zärtlich, als wäre es seine letzte Nacht.

* * *

Als wir nach Hause zurückkehrten, war es Zeit, Abschied zu nehmen.

„Pass auf dich auf“, sagte ich zu ihm, „und komm wieder zurück. Du bist schließlich nicht unsterblich.“

Hippie-Mädchen Mary

„Ich werde es versuchen“, versprach er, „und wenn ich wieder zurück bin, werden wir die Welt verändern. Das verspreche ich dir.“

Auch mit seinen kurzen Haaren war John ein hübscher Kerl, mit dem ich gerne noch länger zusammengeblieben wäre.

Wenige Wochen später hörten wir von seinem Tod, als der Hubschrauber abgeschossen wurde, der ihn zu seinem Einsatzort bringen sollte.

Ich trauerte um ihn. Zu gerne hätte ich sein Grab besucht und ihm frische Blumen gebracht. Stattdessen beschloss ich, jedes Jahr für ihn eine Kerze anzuzünden, um an ihn zu denken und ihn in Erinnerung zu behalten.


Mehr über die starken Heldinnen in meinen Geschichten findet ihr in dieser Übersicht.

Isabella Buchfink

Isabella Buchfink ist ein Pseudonym. Sie schreibt Science Fiction, Thriller und Fantasy-Geschichten. Sie lebt im Süden Deutschlands und arbeitet im Realen Leben in der ungefährlichen Welt der IT. Neue Bücher sind in Bearbeitung und noch gehen ihr die Ideen nicht aus…

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