Der Prolog und das erste Kapitel „Ich hasse Fußball“ meiner neuen Geschichte Ungestillte Sehnsucht sind fertig. Hier eine kurze Lese- und Hörprobe:

Der Freitag war der schlimmste Tag des ganzen Wochenendes. Nach der großen Pause hatten wir eine Doppelstunde Sport und fast jedes Mal spielten wir Fußball.

Ich hasse Fußball. Es ist immer eine schreckliche Qual und es beginnt schon, wenn die Mannschaften ausgewählt werden. Ich bin immer der letzte, der ausgewählt wird und ich habe noch nie ein Tor geschossen. Das liegt nicht daran, dass ich den Ball nicht treffe, aber ich kann ihn nur nicht dahin schießen, wo er hin sollte.

Deswegen blieb mir die Rolle des Verteidigers.

„Du musst nur im Weg rumstehen, wenn einer von den Gegnern angreift“, sagten meine Mitspieler zu mir, „das kannst du doch prima.“

Die Sprüche, die ich ständig zu hören bekam, waren wirklich demütigend und schmerzten mehr, als ich es je zugeben wollte. Dominic war der Schlimmste von allen. Als Stürmer hatte er sich über die Jahre einen Namen in unserem Sportverein gemacht, und für ihn war ich nichts weiter als ein schrecklicher Versager. Er schaffte es immer wieder, mir mit seinen gemeinen Bemerkungen die Laune zu verderben und mein ohnehin schon wackeliges Selbstbewusstsein weiter zu erschüttern. Jedes Mal, wenn ich auf dem Platz stand, fühlte ich mich wie eine Zielscheibe für seine ständigen Sticheleien.

Dabei war ich in der Schule kein schlechter Schüler. Ich hatte gute Noten in Englisch und Deutsch, und selbst in Mathe schnitt ich nicht schlecht ab. Ich musste nicht ständig Nachhilfe nehmen, um nicht die Klasse wiederholen zu müssen. Ich hatte meine Stärken, auch wenn sie in Dominics Augen nicht zählten.

Meine größte Leidenschaft war die Musik. Seit ich ein kleiner Junge war, spielte ich Gitarre und fand in der Musik einen Rückzugsort, der mir half, den Druck des Alltags zu vergessen. Oft hatte ich meine Kopfhörer im Ohr und ließ mich von den Klängen mitreißen. Musik war für mich mehr als nur ein Hobby; sie war ein Teil meiner Identität und gab mir das Gefühl, dass ich etwas Besonderes war.

Heute war ich wieder der Letzte, der für die Mannschaft ausgewählt wurde. Diesmal war ich nicht mit Dominic in der gleichen Gruppe, was einerseits ein Vorteil war, da er mich nicht herumkommandieren konnte. Andererseits wusste ich, dass ich seine Angriffe abwehren musste, und das stellte eine echte Herausforderung dar.

Im ersten Teil des Spiels hatte ich nicht viel zu tun. Ich stand in einiger Entfernung von unserem Tor und beobachtete das Geschehen auf dem Platz. Unsere Stürmer versuchten, mehrere Angriffe auf das gegnerische Tor zu starten, scheiterten jedoch immer wieder an dem Torwart, der ebenfalls im Verein spielte und sich als äußerst talentiert erwies.

Plötzlich verloren wir im Mittelfeld den Ball, und Dominic, der auf der anderen Seite des Feldes stand, rannte mit dem Ball auf unser Tor zu. Mein Herz raste, als ich sah, wie er sich dem Tor näherte. Ich wusste, dass ich jetzt handeln musste. Es war an der Zeit, mich zu beweisen und zu zeigen, dass ich mehr war als nur das Ziel seiner Spötteleien. Ich stellte mich entschlossen in den Weg, bereit, alles zu geben, um unser Tor zu verteidigen.

„Geh raus!“ rief mir unser Torwart zu, „lass ihn nicht zu weit ans Tor kommen!“

Ich tat, was ich konnte, lief auf Dominic zu, der mir im letzten Moment gekonnt Aussicht und den Ball sicher in der linken oberen Ecke des Tors platzierte. Unser Torwart hatte keine Chance, so wie ich Dominic nicht daran hindern konnte, seinen Schuss abzugeben.

„Du spielst wie ein Mädchen“, spottete Dominic, „ich habe keine Ahnung, was du überhaupt hier verloren hast. Wieso machst du nicht Rhythmische Sportgymnastik oder Aerobic? Da kannst du rumstehen und Löcher in die Luft starren so viel du willst.“

Das saß. Solche Sprüche hörte ich immer wieder. Gedemütigt zu werden gehörte zu meinem Schulalltag und mir graute immer wieder vor den Freitagen, an denen es immer besonders schlimm war.

* * *

Nach der Schule aß ich das Mittagessen, das mir meine Mutter vorbereitet hatte und ging in mein Zimmer.

Am Freitagnachmittag war ich alleine zuhause bis meine Schwester Susanne nach Hause kam.

Susanne war schon 17 und wir kamen meistens ganz gut miteinander zurecht. Oft beneidete ich sie dafür, dass sie ein Mädchen war. Sie war schlank und hübsch und hatte feuerrote Haare. Ihr gefiel dieselbe Musik wie mir und wir sahen uns oft alte Komödien an, wenn wir allein zuhause waren und nichts Besseres vorhatten.

„Meine Freundinnen beneiden mich um dich“, hatte sie einmal zu mir gesagt, „keine von ihnen hat einen Bruder oder einen Freund, der mit ihnen eine dieser kitschigen Romanzen ansehen wollen. Ingrid sagt, sie muss sich ständig irgendwelche dämlichen Actionfilme ansehen, die außer wilden Verfolgungsjagden und Kampfszenen keine vernünftige Handlung haben.“

Zuerst spielte ich ein bisschen auf meiner Gitarre. ‚I can’t fly‘ war eins meiner Lieblingslieder und die melancholische Stimmung des Songs machte mir trotz des traurigen Texts immer wieder Mut.

In a crowded room, I wear a mask,
Smiles around me, but I can’t ask,
For a moment of truth, a glimpse of the light,
But shadows whisper, „You’re not right.“

I’m lost in a world that doesn’t see,
Trapped in a body that’s not me,
Every heartbeat feels like a lie,
Loneliness echoes, and I can’t fly.

Wie würde es sich wohl anfühlen, fliegen zu können, frei und ungebunden, ohne in einem Körper gefangen zu sein, den ich nicht akzeptieren konnte? Diese Gedanken schwirrten in meinem Kopf, während ich nach nebenan in Susannes Zimmer ging. An ihrem Kleiderschrank hing eines ihrer Kleider – ein kurzes Sommerkleid mit einem geblümten Stoff, das im Licht sanft schimmerte.

Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen. Mit zitternden Händen nahm ich das Kleid vom Kleiderbügel und schlüpfte hinein. Der Stoff fühlte sich weich und angenehm auf meiner Haut an, und als ich mich im Spiegel betrachtete, überkam mich ein Gefühl von Freude und gleichzeitig von Traurigkeit.

Manuel zieht sich gerne die Kleider seiner Schwester an

Würde ich eines Tages den Mut haben, Kleider zu tragen, ohne mich verstecken zu müssen? Wäre es möglich, dass ich nicht nur heimlich, sondern offen und stolz in der Kleidung eines Mädchens auftreten könnte? Mädchen konnten so viele schöne Dinge tragen, während ich in einem Körper gefangen war, der nicht zu mir passte. Warum war ich als Junge geboren worden? Diese Frage nagte an mir, während ich mich im Spiegel drehte und die Silhouette betrachtete, die mir fremd und doch so vertraut erschien.

Seit vielen Jahren hatte ich das Gefühl, dass etwas an mir nicht stimmte. Lange hatte ich darüber nachgedacht, was es sein könnte, bis ich zum ersten Mal heimlich Susannes Kleiderschrank durchstöberte. Ich erinnerte mich an den Nervenkitzel, als ich eine ihrer rosaroten Blusen anzog und einen ihrer Slips aus der Wäscheschublade nahm, um ihn in meinem Zimmer zu verstecken.

Ich betrachtete mich von allen Seiten im Spiegel. Wie würde es sich anfühlen, ein hübsches Mädchen wie Susanne zu sein? Die bewundernden Blicke der Jungs zu spüren, die mir nachschauten, während ich in einem kurzen Kleid und hübschen Schuhen über den Schulhof ging. Ich stellte mir vor, wie sie ihre Hälse reckten, um mich zu sehen, wie sie versuchten, meine Aufmerksamkeit zu gewinnen, während ich mit einem Lächeln an ihnen vorbeiging.

Das musste aufregend sein. Ich war nicht einer der Jungs, die eine Chance bei einem hübschen Mädchen hatten. Ich war ein Einzelgänger, ein schräger Vogel, der sich mit einigen Mädchen besser verstand als mit den meisten der anderen Jungs. In ihren Augen war ich der Außenseiter, der Schwächling, der nicht in ihre Welt passte. Nach all den Jahren, in denen Dominic und einige andere gemein zu mir waren und mir deutlich zu spüren gaben, dass ich in ihren Augen nichts wert war, hatte ich kaum noch Selbstvertrauen.

Ich war so sehr in meine Gedanken vertieft, dass ich nicht bemerkte, als Susanne nach Hause kam. Plötzlich stand sie an der Türe und sah mir zu, wie ich vor dem Spiegel posierte und mich dabei versorgen ansah.

„Na, kleiner Bruder“, sagte sie zu mir und ich fühlte mich ertappt, als hätte ich etwas schrecklich Verbotenes getan, „du scheinst dich wohl gerne zu verkleiden.“

Es war mir peinlich, dass sie mich in ihrem Kleid erwischt hatte.

„Bitte entschuldige, ich hätte dich fragen sollen.“

„Lass uns reden. Ich glaube, ich weiß schon lange, was dich beschäftigt. Du bist nicht der einzige, der das Gefühl hat, in einem falschen Körper gefangen zu sein. Wenn du wirklich ein Mädchen werden möchtest, gibt es Wege, dir diesen Traum zu erfüllen. Ich werde dich dabei unterstützen so gut ich kann.“

„Danke“, antwortete ich, „das bedeutet mir viel!“

„Hey, es wäre wirklich cool, eine kleine Schwester zu haben!“ fügte sie grinsend hinzu, „du kannst alle meine Sachen tragen, die mir zu klein geworden sind, und wir könnten viel Spaß miteinander haben!“


Mehr über die starken Heldinnen in meinen Geschichten findet ihr in dieser Übersicht.
 
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Isabella Buchfink

Isabella Buchfink ist ein Pseudonym. Sie schreibt Science Fiction, Thriller und Fantasy-Geschichten. Sie lebt im Süden Deutschlands und arbeitet im Realen Leben in der ungefährlichen Welt der IT. Neue Bücher sind in Bearbeitung und noch gehen ihr die Ideen nicht aus…

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