Eine Lese- und Hörpobe des Kapitels ‚Verborgene Erinnerungen‘ aus dem Buch ‚Das Omega-Projekt‘.
In eine Schlüsselszene tanzt Louise mit ihrer Freundin Lisa im Holodeck der Raumstation ‚Nysa Prime‘. Sie muss feststellen, dass sie Ballett perfekt berrscht, und plötzlich tauchen verborgene Erinnerungen an ein anderes Leben in ihrem Kopf auf.
„Mir ist fürchterlich langweilig!“
Lisa hatte an die Türe meines Appartements geklopft und ich freute mich über ihren Besuch.
„Hmm, dagegen könnten wir etwas unternehmen“, schlug ich vor, „auf was hättest du denn am meisten Lust?“
„Na ja, am liebsten würde ich meinen Freund wiedersehen“, seufzte sie, „aber das ist ja leider unmöglich.“
„Du hast Recht“, lächelte ich, „das ist leider nicht möglich. Das schafft selbst unser Holodeck nicht.“
„Aber das bringt mich auf eine Idee“, antwortete sie, „ich würde gerne tanzen. Auf der Erde habe ich Ballettstunden gehabt und das hat mir immer Spaß gemacht. Das ist noch etwas, das ich schrecklich vermisse.“
„Das ist eine coole Idee. Wir finden bestimmt im Holodeck eine Szene, die dafür geeignet ist, damit es sich auch wirklich echt anfühlt. Und ich bin sicher, wir gingen auch die passende Musik dazu.“
„Cool“, freute sie sich, „ich hab mein Tutu dabei. Das war erst dagegen, dass ich es mitnehme, weil es in meiner Kiste Platz weggenommen hat, aber ich habe mich am Ende durchgesetzt.“
„Ich könnte mir einen meiner Leotards anziehen, die ich mitgenommen habe, aber du musst mir zeigen, was ich tun muss. Ich habe noch nie Ballett getanzt, aber ich habe zwei gesunde Beine.“
„Super“, strahlte Lisa glücklich, „ich zeig dir ein paar Dinge. Die Positionen, Pirouetten und so weiter.“
„Prima, dann treffen wir uns in zehn Minuten auf dem Holodeck.“
* * *
Das Ballettstudio auf dem Holodeck war eine faszinierende Mischung aus futuristischer Technologie und der schlichten Eleganz eines klassischen Tanzraums. Auf drei Seiten der Szene waren Spiegel an den Wänden, die durch eine Projektion von Bildern mehrerer Kameras erzeugt wurden. Dadurch wirkte der Raum größer, als das Holodeck tatsächlich war.
Während ich noch auf Lisa wartete, wählte ich die Musik aus. ‚Midnight Waltz‘ hieß der Titel – ein Klassiker des Balletts des 21. Jahrhunderts.
Lisa trug ein weißes Tutu und sah darin echt süß aus. Sie lächelte glücklich, als sie mich sah.
„Tolle Musik“, sagte sie, „und willkommen zu deiner ersten Ballettstunde!“
Ich kam mir reichlich merkwürdig vor in meinem rosaroten Leotard, und ich war mir nicht sicher, ob Ballett wirklich etwas war, das ich probieren sollte. Aber es würde Lisa aufheitern und da spielte es keine Rolle, wenn ich dabei eine völlig lächerliche Figur abgab.
„Okay, lass uns anfangen“, sagte sie, „zuerst zeige ich dir die verschiedenen Positionen. Eine Ballerina steht niemals einfach nur so da. Es gibt fünf Grundpositionen und ein paar Drehungen, die wir zusammen üben werden. Position eins!“
Sie machte es mit vor und ich kopierte ihre Position.
„Du schaust immer geradeaus, streck den Hals und den Oberkörper ganz gerade strecken. Ja, so ist es gut!“
„Das ist einfach“, lachte ich.
„Na, das wird noch ein bisschen schwerer“, versprach sie mir, „wenn wir erst die Drehungen üben. Konzentriere dich auf die Haltung, vergiss alles andere und fühle, wie du stehst.“
Es fühlte sich gut völlig natürlich an und Lisa zeigte mir nacheinander alle Positionen, bis ich sie beherrschte.
„Okay, jetzt üben wir noch ein paar einfache Drehungen und dann lassen wir die Musik laufen und tanzen.“
Die Posen und die Drehungen hatte ich schnell heraus. Es war leichter, als ich es erwartet hatte, und es kam mir fast vor, als erinnerte sich mein Körper an etwas, das er vor vielen Jahren gelernt und trainiert hatte.
Ich startete die Musik und plötzlich wurde ich schrecklich nervös. Meine Knie zitterten und mein Atem ging schnell.
„Was ist los?“ fragte mich Lisa, die meine plötzliche Veränderung bemerkt hatte.
„Ich glaube, ich habe sowas wie Lampenfieber“, antwortete ich, „dabei gibt es doch keinen Grund dafür.“
„Bestimmt nicht“, versicherte sie mir, „wir sind unter uns und niemand sieht uns zu. Es stört niemanden, wenn du etwas verpatzt. Das kommt ständig vor. Mach einfach weiter und versuche, nicht aus dem Fluss zu geraten.“
Die Musik kam mir vertraut vor, als hätte ich sie schon hundertmal gehört. Ich wusste im Voraus, wenn das Tempo wechselte, und die Bewegungen dazu kamen ganz von alleine.
Und dann wirbelten plötzlich Bilder durch meinen Kopf, als würde ich träumen. Ich stand mit einer unbekannten Frau in einem Sportgeschäft und durchsuchte einen Kleiderständer mit Balletttrikots. Das Gesicht eines jungen Tänzers mit dunkelbraunen Augen, der mich im Arm hielt und mich im Kreis drehte. Eine Reihe von Tänzerinnen auf der Bühne eines Schauspielhauses, die sich an den Händen hielten und sich zu dem donnernden Applaus des Publikums verbeugen. Ein prüfender Blick in den Spiegel und zufriedenes Lächeln. Eine freundliche bleiche, ältere Dame, die auf dem Klavier spielte, während ich tanzte. Zwei schwarz gekleidete, maskierte Männer, die mich am Künstlereingang des Schauspielhauses überwältigten, meine Hände fesselten und mich in einen Lieferwagen zerrten.
„Was ist los?“ unterbrach Lisa meine Gedanken, „vorhin hast du getanzt, als hättest du das jahrelang geübt. Und plötzlich stolperst du und bist völlig aus dem Rhythmus gekommen.“
„Ich habe mich an etwas Merkwürdiges erinnert, dass ich überhaupt nicht erlebt habe“, antwortete ich nachdenklich, „es ist wirklich gespenstisch. Es war, als hätte ich es selbst erlebt, obwohl ich genau weiß, dass das überhaupt nicht möglich ist.“
„Dann kannst du dich doch nicht daran erinnern“, wunderte sie sich, „vielleicht hat dich nur die Musik so sehr inspiriert.“
„Vielleicht“, überlegte ich, „doch möglicherweise steckt etwas ganz anderes dahinter. Es waren keine Tagträume, sondern es fühlte sich völlig real an.“
„Aber wie ist das möglich?“
„Dieser Körper steckt voller Überraschungen. Meine Beine tanzen fast von alleine und ohne große Mühe und dann diese Erinnerungen…“
„Das ist ja völlig krass!“ rief Lisa, „ich wüsste zu gerne, was sie mit dir gemacht haben. Man muss viele Jahre fleißig üben, um sich so bewegen zu können.“
„Das wüsste ich auch gerne“, seufzte ich, „einerseits hat mir das Tanzen unheimlich Spaß gemacht. Aber es hat mich auch wahnsinnig erschreckt. Ich dachte, ich würde meinen Körper inzwischen ganz gut kennen, doch diese Erinnerungen habe ich nicht erwartet. Das ist noch ein Grund, wieso ich herausfinden muss, was mit mir passiert ist.“
Mehr über die starken Heldinnen in meinen Geschichten findet ihr in dieser Übersicht.