Im Kapitel Freizeitsport meiner Geschichte ‚Seelenwanderer‘ begegnet der Protagonist Nathalie das erste Mal. Er hat mit Unterstützung eines Gurus das Talent entwickelt, sich in die Köpfe anderer einzuklinken, seine Seele „wandern“ zu lassen.
Zuerst ist es Neugier, dann Begeisterung. Am Ende die Sehnsucht, jemand ganz anderes zu sein…
Rajiv war mit meinem Fortschritt mehr als zufrieden, als ich ihm von meinen Erlebnissen erzählte.
„Du hast deine Lektionen fleißig gelernt“, sagte er zu mir, „jetzt brauchst du meine Hilfe nicht mehr.“
„Ich danke dir von ganzem Herzen für das, was du mich gelehrt hast“, antwortete ich, „doch ich werde noch weiter üben. Ich bemerke selbst, wie ich jedes Mal etwas Neues entdecke.“
„Hast du dir Gedanken gemacht, wo deine Reise hingehen soll?“ wollte er wissen.
„Am liebsten würde ich mein altes Ich abstreifen und ein ganz neues Leben beginnen“, sagte ich und erschrak selbst ein wenig über diese Antwort.
„Hmm, das habe ich schon lange geahnt“, antwortete er und lächelte, „doch das ist eine große Herausforderung. Du wirst alles zurücklassen müssen, was dich bis jetzt bestimmt hat.“
„Ich weiß, und die Entscheidung wird mir nicht leicht fallen. Bis jetzt hat sich mir aber auch noch keine gute Gelegenheit geboten. Ich kann ja auch nicht jemand anderem sein Leben wegnehmen, nur weil ich gerne seinen Körper haben möchte.“
„Nein, das kommt nicht in Frage. Die Folgen wären fatal.“
Ich nickte nachdenklich. Darüber musste ich gründlich nachdenken.
„Aber es hat sich noch mehr in deinem Leben verändert“, fuhr er fort, „du hast auf deinen Besuchen sehr viel Einfühlungsvermögen gewonnen. Als Seelenwanderer wärst du ein perfekter Engel, der sich um die Schwachen, Einsamen und Verlorenen kümmert, ihnen Mut macht und ihnen helfen kann, eine Lösung zu finden.“
„Das ist ebenfalls eine gute Option“, gab ich ihm Recht, „auch wenn nicht alle meine Besuche vollkommen selbstlos waren.“
„Denke darüber ernsthaft nach“, riet er mir, als wir uns voneinander verabschiedeten, „es stehen dir fast unbegrenzte Möglichkeiten offen.“
„Das werde ich“, versprach ich ihm.
* * *
Es war ein perfekter Sonntagnachmittag als ich Nathalie das erste Mal sah und ich war sofort von ihr verzaubert.
Ich war in Carinas Körper geschlüpft, ein blonder Teenager, unternehmungslustig, fröhlich und wild.
Sie war mit zwei ihrer Freundinnen und ein paar Jungs verabredet, mit denen sie im Wald eine Schnitzeljagd machen wollten.
Carina, Lena und Nathalie waren ein Trio, das fest zusammenhielt. Lena war mit Dieter zusammen und es gehörten noch ein paar von seinen Freunden zu der Clique.
An diesem Tag war es in der Stadt unerträglich heiß, so dass man es nur im Freibad oder im Wald einigermaßen aushalten konnte.
„Eine Gruppe geht voraus“, erklärte Dieter uns die Regeln des Spiels, „legt eine Spur aus Sägemehl und versteckt sich. Die zweite Gruppe muss dann der Spur folgen und die anderen suchen. Ihr habt anderthalb Stunden Zeit.“
Das klang nach Spaß.
„Wenn ihr sie bis dahin gefunden habt, dann habt ihr gewonnen.“
„Dann spielen wir Jungs gegen Mädchen“, schlug Nathalie kichernd vor, „wir gehen voraus und ihr müsst uns jagen.“
Die Jungs sahen sich an und nickten.
„Wie im richtigen Leben“, grinste Stefan, „aber wir werden euch schon aufspüren, da bin ich mir sicher.“
„Und was ist der Preis für die Gewinner?“ wollte Klaus wissen.
„Die Verlierer müssen uns in die Eisdiele einladen“, forderte Nathalie.
„Falls ihr gewinnt“, konterte Stefan.
„Oh, das werden wir“, lachte Nathalie, „ich esse für mein Leben gern Eiscreme.“
„Dann müsst ihr euch eben gut verstecken“, antwortete Dieter.
„Ich kenne ein gutes Versteck“, sagte Lena zu mir und grinste, „dort finden sie uns nie. Es ist keiner der Plätze, wo ich mit Dieter hingehe, wenn wir mal ungestört sein wollen.“
„Dann versuchen wir es dort.“
Während wir den Wald durchquerten, erfuhr ich einiges über die drei Mädchen.
Lena war seit drei Monaten mit Dieter zusammen. Er war ihr erster Freund und er hatte sich sehr um sie bemüht, bis sie schließlich mit ihm ausgegangen war. Sie war eine gute Schülerin und spielte in der Theater AG eine der Hauptrollen in einem Drama, das sie gerade einstudierten.
Nathalie war eine Wasserratte. Sie war in der Schwimmmannschaft und ging so oft sie konnte ins Schwimmbad. Sie war eine exotische Schönheit mit langen, dunkelbraunen Haaren und einer von der Sonne gebräunten Haut.
Sie war in der Schule recht beliebt und der Schwarm der Jungs. Bisher hatte sie keinen ihrer Annäherungsversuche ernstgenommen. Sie fand Stefan ganz süß, mit dem sie sich ganz gut verstand, hatte aber bis jetzt alle seine Versuche, sich mit ihr zu verabreden, höflich aber bestimmt abgelehnt.
Die meisten anderen ihrer Verehrer fand sie unerträglich arrogant und aufdringlich. Er nervte sie furchtbar, dass die meisten von ihnen sich nur aufgrund ihres Äußeren für sie interessierten und sie hatte kein Interesse an ihnen.
Carina stand auf Mädchen. Sie hatte versucht, mit Jungs auszugehen, weil sie es sich nicht wahrhaben wollte und Angst hatte, als Lesbe abgestempelt zu werden. Nur Nathalie hatte sie dieses Geheimnis anvertraut.
Es war eine kleine Waldlichtung, wo wir uns im Gebüsch versteckten. Der Platz war gut versteckt und man konnte ihn nicht sehen, wenn man nicht wusste, wo man suchen musste.
Wir legten uns ins Gras und machten es uns gemütlich, während wir warteten.
Nathalie lag neben mir und ich spürte ihre Schenkel an meinen. Wir redeten miteinander und ich hatte das Gefühl, dass ich mich in das Mädchen verlieben würde.
Oder war das nur Carinas Neigung?
Vielleicht etwas von beidem, obwohl mir völlig klar war, dass wir nur Freunde waren. Aber das Mädchen besaß mit ihrem bezaubernden Charme und ihrer munteren Fröhlichkeit eine Anziehungskraft, der man kaum widerstehen konnte.
Etwa eine Dreiviertelstunde später erreichten unsere Jäger die Waldlichtung. Nathalie rutschte näher an mich heran und wir hielten die Luft an, damit die Jungs uns nicht fanden.
„Mist, wir haben ihre Spur verloren“, rief Dieter den anderen zu, „kommt, wir gehen wieder zurück und suchen auf der anderen Seite nach ihnen.“
* * *
Am liebsten wäre nach dem Spiel ich noch in die Eisdiele mitgegangen, doch ich musste wieder in meinen eigenen Körper zurückkehren.
Als meine neuen Freunde auf ihre Fahrräder stiegen, verabschiedete ich mich in Gedanken von ihnen und wurde wieder zu Mark.
Aber das Erlebnis hatte mich darin bestärkt, dass ich irgendwann ein neues Leben in einem weiblichen Körper beginnen wollte – ich wusste nur noch nicht, wie ich das anstellen sollte.
Irgendwann würde ich sie vielleicht wiedersehen, doch das hing davon ab, ob sich mein Traum irgendwann erfüllen würde.
Mehr über die starken Heldinnen in meinen Geschichten findet ihr in dieser Übersicht.